P o r t o m a r i n  -  P a l a s   do   R e i

 
 
 
 
 

Mein kleines Hotel in Portomarín hatte ich gegen 7 Uhr am Sonntagmorgen verlassen, den Weg hinauf zur Kirche San Juan eingeschlagen, unter den Arkaden an dem mir die Richtung anzeigenden Santiago vorbei, die noch dunkle Strasse hinunter zur Fußgängerbrücke über den Seitenarm des Miño mit frischen Kräften beschritten. Meine Gedanken hingen dem Sinn und dem noch fernen Ziel meiner Reise nach. Ich dachte an die Hochzeit in San Juan und die Mauersegler hoch über dem Kirchenschiff - los vencellos, die ich auch über dem Dachfenster meiner habitación sah, als ich, etwas erschöpft von den Prüfungen des camino mich ausruhend, voller Bewunderung ihre unermüdlichen pfeilschnellen Zickzack-Flüge beobachtete.
Es erstaunte mich immer wieder, wie munter man morgens ist, wenn es erneut auf den camino geht, wo man doch am Nachmittag davor nach der comida kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte, von den alten Männern aus Portomarín im Dahinschlurfen nicht zu unterscheiden! "Man sieht sie nachmittags, die Gezeichneten des Camino. Wie die alten Männer des Ortes. Nur den Stock, den Wanderstock haben sie in der albergue gelassen, sie kriechen daher", so hatte ich es in meinem Tagebuch notiert.
Froh, die glitschige, mit ihrem niedrigen Geländer im schwankenden Lampenlicht unheilverheißende, Fußgängerbrücke gut überwunden zu haben, achtete ich beim Abbiegen nach rechts nicht auf den Weg, geriet mit dem rechten Fuß in irgendeine unverhoffte Vertiefung und knickte leicht um. Ich verwünschte meine Unachtsamkeit, wechselte den Schritt, ging weiter und wurde erst am nächsten Tag daran erinnert, daß el camino manche Nachlässigkeiten nicht verzeiht.
Später dann auf dem anschließenden Fuhrweg durch finsteren Wald lag etwas, dunkler noch als der Weg und gab sich beim Herannahen als halbwüchsiger Baum zu erkennen, nach Wegelagerer-Manier, den Camino in gesamter Breite versperrend. Er war nicht zu bewegen, diese Rolle aufzugeben und den Weg freizugeben, man hätte eine Axt benötigt, den verdrehten Stamm endgültig von den Wurzeln zu trennen. So stieg ich an der niedrigsten Stelle hinüber und hoffte auf die Umsicht der Nachfolgenden.

horreo

Etwas unheimlich wirkt dieser Hórreo im fahlen Morgenlicht.

 
 
matutino

Sobald das Licht es zulässt, wird el camino dokumentiert.

bosque oscuro

Wann es hier wohl die letzten Bären und Wölfe gab?

 
 
liebre

Noch ein Angsthase!

agua de pozo

Wasser aus Pilgerbrunnen gibt es längs des camino reichlich.

 
 
muro

Mauern säumen den gewundenen Weg.

niebla

Nebel steigt aus den Wäldern auf.

 
 

Bergauf und ...

ciclista

bergab, überholt von schnelleren ciclistas.

 
 
Soy yo el peregrino

Soy yo, soy el peregrino.

Ein Hórreo mit lichtblauem Hortensien-Schmuck .

 
 
cuesta arriba

Immer mehr Wanderer ziehen an mir vorbei.

Vor dem blütengeschmückten Hórreo traf ich zwei peregrinas, die wie ich hier ein Foto machen wollten. Ich fotografierte sie mit ihrer Kamera und sie machten ein Bild von mir mit meiner Nikon. So bin ich nicht nur als Schattenbild auf dem camino zu sehen!
Von dem Hórreo machte ich auch noch ein Foto, von dem hier ein Ausschnitt zu sehen ist. Noch schönere Hórreos, auf Säulen statt auf einem Sockel stehend, gibt es an den Küsten Galiciens, wie ich später erfuhr. Der Weg auf der Kuppe des Hügels liegt schon in der Sonne, das Dorf, auf das ich zurückblicke noch tief im Schatten. Aus den dunklen Wäldern lösen sich Nebelschwaden, es ist kühl - aber der Himmel verheißt einen schönen Tag.

 
 
vistazo atrás

Ein Blick zurück auf das noch im Dunklen liegende eben durchschrittene Dorf.

 
 
 

Der frühe Start um sieben Uhr ist notwendig, wenn man in den refugios noch ein gutes Plätzchen erhalten will - im Sommer, wenn der camino überlaufen ist, noch mehr als im Herbst. Nun war es für mich nach meiner schon in O Cebreiro getroffenen Entscheidung, in kleinen Hotels und Familienbetrieben, abzusteigen, wo man von Land und (einheimischen) Leuten noch etwas mehr mitbekommt als unter den Mitwanderern in den hospedajes, nicht so wichtig, spätestens gegen 1 Uhr am Zielort angekommen zu sein. Aber für eine vernünftige Zeitplanung war der Aufbruch und ein Marsch von gut einer Stunde noch in voller Dunkelheit unumgänglich. Mit der Taschenlampe den Weg ausleuchtend, kam ich gut voran und gewann etwas Zeit für das aufwendige Fotografieren zur Dokumentation des Camino de Galicia, sobald das beginnende Tageslicht es zuließ. So holten mich dann nach und nach alle Weggefährten wieder ein, auch wenn sie später gestartet waren!

Nun nahen weitere Gruppen.

 
 

El camino y los peregrinos.

 
 
 
Bild5

Der camino wird von der C535 begleitet.

Ein verwunschenes Häuschen.

 
 

Doch die Romantik trügt: SE VENDE CASA Y FINCA. Haus und Hof zum Verkauf angeboten.

Bei diesem Treffen gibt es mit dem richtigen Weg keine Probleme, wie nach dem Steg auf der Etappe Sarria - Portomarín.

 
 

Hexenfinger und Hinkelsteine.

El pastor alemán, der deutsche Schäferhund bei der vorgezogenen siesta.

 
 

Ein Picknickplatz und ein schlichtes Holzkreuz mit Steinchen belegt, Vorbote der steinernen Cruzeiros auf der weiteren Reise.

Nur nicht den falschen Weg nehmen!

 
 

Durchblick auf den Picknickplatz.

Das Holzkreuz mit den abgelegten Steinen, Symbole für das Abtragen von Schuld, aber auch Erinnerung an die Kalksteinbrocken, die von den Pilgern zu den Brennöfen geschleppt worden sind für den Bau der Kathedrale in Santiago de Compostela .

 
 

Weit geht der Blick über nebelverhangene Täler und Höhen.

Galicia verde.

 
 

Ein alter Cruzeiro am Ortseingang von Ligonde.

Die galicischen Cruzeiros sind zum Teil sehr alte Steinkreuze mit Kreuzigungsdarstellungen an den Eingängen oder zentralen Dorfplätzen. Die nebenstehende Gegenlichtaufnahme zeigt nicht viel Details der Christusfigur, aber ich wollte auch den mächtigen bizarren Baum, der in deutlicher Konkurrenz zum fast filigranen Cruceiro der ganzen Szenerie eine etwas unheimliche Stimmung verleiht, so als seien die alten Naturgötter noch einmal auferstanden, um ihren Herrschaftsanspruch erneut geltend zu machen, mit in das Bild einbeziehen. In Santiago de Compostela sollte ich mir dann ein kleines silbernes Cruceiro als Andenken kaufen, später von meinen parientes in México neben meiner Compostela als weitere wohlbeachtete und gutgeheißene Annäherung al mundo católico kommentiert.

 
 

Pittoreske Kamine auf einem bemoosten Dach.

Galicia pedregoso.

 
 

Das Rot der Dahlien und Petunien sticht das Ziegelrot des Horreos aus.

Pequeño cruzeiro.

 
 

Allmählich wandelt sich die Landschaft, sanfte Kuppen oft mit Heidekraut bewachsen.

Die Zeit scheint still zu stehen.

 
 

Verlassen ...

... am Rande der Dorfstraße.

 
 

Der Herbst hat seinen Tisch gedeckt.

Allmählich macht man es den Hunden nach, die dem Schatten der Bäume folgen, wenn die Sonne ihnen zu stark aufs Fell brennt.

 
 

La Casa da Fonte, von einem rotmäuligen Löwen bewacht.

Heiß brennt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, jede Schattenpartie wird dankbar registriert. Aber auch die lichtgleißende Hausfront muß fotografiert werden.

 
 

Welch angenehme Kühle verspricht dagegen dieses Bild.

Schier endlos, wie niemals endend, erstreckt sich der Weg. Hinter jeder Biegung lauert eine weitere Fortsetzung: bergauf, bergab, links und rechts, bergauf, bergab, rechts, links .....

 
 

Der Schatten atmet Kühle, doch es gibt kein Verweilen.

Das Licht bleicht den Schatten aus.

 
 

Die Steine strahlen die Hitze zurück.

Das markante Windrad kündet Palas do Rei an. Der lange und staubige Schotterweg kann nun nicht mehr schrecken.

 
 
kilómetre 66

Endlich Palas do Rei. Nach Santiago de Compostela noch 66 km!

Ein Kanaldeckel in Palas do Rei. Nach einem Vorbild aus den 20er Jahren (alles schon einmal dagewesen) fotografiere ich gern solche Orts- und Städteansichten.

 
 

Hier kann man gut ein schattiges Plätzchen finden.

Cruzeiro.

 
 

Ein kleines Gärtchen in Blumenkübeln.

Der Jacobsbrunnen spendet auch am Sonntag Wasser.

 
 

Xacobeo.

Descanso dominical.

 

In Palas do Rei fragte ich gleich nach einer habitación. Wollte nicht so lange herumlaufen wie in Sarria. In der Kirche, an der ich bergab vorbeikam, als ich den Ort betrat, war noch Gottesdienst aber auf der nächsten Querstraße traf ich eine kleine Gruppe Männer in angeregter Unterhaltung, die nach meiner Frage auf ein nahegelegenes Haus wiesen. Hinter dem schlichten Eingang sagte ich einer jungen Frau mit braunen Locken mein Sprüchlein auf. Nun ging es wieder bergauf und anschließend noch zwei Stockwerke hoch, sie ging schnell, schien mir im Gegensatz zu meinen müden Schritten anmutig zu schweben wie ein Engel und ich mußte mich sehr bemühen, ihr ohne wahrnehmbare Anstrengung zu folgen, dass es fast mehr Energie kostete als der ganze Weg zuvor! Es war ein schönes Zimmer mit Wintergarten hoch über den Straßen von Palas do Rei, das ich sofort nahm. Mit einem entschuldigenden Lächeln bat sie mich um meinen Ausweis und ich tauschte meinen Reisepaß gegen Haus- und Zimmerschlüssel um, mit der Frage, wann ich zur comida erscheinen könne.
Geduscht und umgezogen, machte ich mich an den schwierigen Abstieg, zwei blutunterlaufene Zehennägel künden noch heute von den Anstrengungen und Tücken langer Gefällestrecken in der Bergwelt Galiciens. Die Familie saß schon bei ihrer Mahlzeit und es kamen noch zwei Gäste. Das Essen war lecker, der Wein gut, meine cincuenta palabras in angemessener Reihenfolge dank des braungelockten Schutzengels, der mir geduldig über die Klippen galicischer Speisekarten und Menüs hinweghalf, so dass ich fragte, ob ich am Abend eine tortilla con patatas haben könne. Die Chefin stimmte zu und ich brach zu weiteren Unternehmungen auf. An der Kirche waren Termine für den Stempel in der Credencial angeschlagen, der Weg für den nächsten Morgen, für die Etappe nach Arzúa mußte erkundet werden, ein Café con leche und eine tarta de Santiago sollten auch nicht fehlen. Der Rundgang durch Palas do Rei brachte viele bekannte Gesichter, Worte wurden gewechselt, Eigenheiten der Etappe, Startzeit und Ankunft.
Als ich dann gegen 20 Uhr 15 mein Restaurant nach einer Ruhepause und den Vorbereitungen für die neue Etappe wieder betrat, traute ich kaum meinen Augen. Nun begriff ich den Sinn der Frage an die Chefin, fast die gesamte mir bekannte Weggenossenschaft des camino hatte sich hier versammelt.Die große Gruppe der Franzosen, das belgische Paar, das ich in Portomarín kennengelernt hatte, die spanische Gruppe, die lieber der Landstraße statt dem camino folgte, meine deutschen Weggefährten und und und. Kurz es war brechend voll und es gab nur noch ein kleines Tischchen inmitten des Trubels, an das ich mich ungerührt setzte und nach Kopfnicken und Lächeln in alle möglichen Richtungen sowie einem immer wieder aufgenommenen Gespräch mit den Belgiern am Nachbartisch, mein Tagebuch aufklappte und gegen das Stimmengewirr ankämpfend meine Notizen zu Papier brachte. Mein Schutzengel hatte mich gleich erspäht und brachte auf einem Hinflug einen Korb mit Weißbrot und eine Flasche Wein vorbei und auf einem Rückflug die Bitte, ob ich mit meiner tortilla con patatas noch etwas warten könne. Ich hatte ihn ja hin- und herflitzen sehen und konnte nicht widersprechen.
So hatte ich genügend Zeit, meine Gedanken zu ordnen - und auf den weiteren Etappen suchte ich in Cafes und Restaurants dies Stimmengewirr als chaotische Quelle der Inspiration! Hals über Kopf hatte ich Hannover verlassen, Flucht und mystische Annäherung an eine Welt, die mir zuerst auf meiner Reise nach Mexico zu meinen parientes im Istmo de Tehuantepec und der Beschäftigung mit ihrer Kultur und Geschichte begegnete.
Persönliche Verwicklungen und die erste Begegnung mit Santiago apóstol, dem kämpferischen Schutzpatron vieler Kirchen und Städte der spanischsprachigen Welt, in der Kirche von Niltepec (Oax., Mex.) und ihren Kirchenbänken mit dem Namen Mumenthey, den ich dann später zusammen mit meinem Vaternamen in meine Compostela eintragen ließ, als 'camino fighting name' eines neuen Lebensabschnittes, der aber gleich auf eine Weise, die den Verblendungen des Don Quijote zur Ehre gereicht hätten, ad absurdum geführt wurde, dass nur noch Hoffnung in einer der Deutungen des Cervanteschen Werkes durch Miguel de Unamuno und ihrem angenommenen Verständnis en el mundo español liegt, ungeachtet des Preises der Lächerlichkeit für das unerschrockene Anstreben der edelsten aber unerreichbaren Ziele, von deren Verfolgung nicht abzusehen, um das eigene Menschsein nicht aufzugeben, brachten mich auf einen Weg, auf den Camino de Galicia, dem ich alles in allem schon mehr verdanke als ich heute absehen kann.
Schließlich, ich hatte weder aufgesehen noch daran erinnert, bekam ich meine tortilla con patatas und später dann auch meinen Paß beim Bezahlen der Rechnung.

 
 
 
 
 
 
©fotos y textos: Folker Wagner Mummenthey