Sonnabend, den 13.Juli 2002 um
9.55 Uhr hebt die Maschine nach Frankfurt vom Flughafen Hannover ab. Von der
Gangway und vom Bordfenster aus hatte ich noch die blonden Schöpfe meiner
beiden Töchter, die mir Geleit und Fahrgelegenheit gaben, am dritten
Fenster der Aussichtsplattform sehen können. Kaum hatte die Maschine ihre
Diensthöhe gewonnen, machte sie sich auch schon wieder an den Abstieg, um
gegen 10.31 Uhr in Frankfurt zu landen. Start nach México D.F. erst um
14.05 Uhr, voraussichtliche Flugzeit 11 Stunden, 10 Minuten. Nach der Landung
dort um 18.41 Uhr Ortszeit ist immer noch Sábado, in Deutschland
allerdings schon Sonntag, viertel vor zwei, am Morgen. Die Maschine nach Cd.
Oaxaca sollte um 21 Uhr starten, noch genügend Zeit für alle
notwendigen Formalitäten und Verrichtungen. Mit einem Bus geht es dann
über das gespenstisch von gleißenden Blitzen erhellte
Flughafengelände, das Getöse der Düsentriebwerke der landenden
und startenden, jäh vom Licht der Blitze aus dem Dunkel herausgerissenen
Maschinen, wetteifert mit dem Donner des sich unweit über uns entladenden
Unwetters. Die ganze Szenerie hin bis zu den umgrenzenden Bergketten ist wie
von zuckendem Diskolicht erhellt. Eine ältere Frau, weißhaarig mit
einem edlen indigenen Profil, die ich schon beim Einchecken nach Oaxaca
bewundert hatte, sitzt nun neben mir, bekreuzigt sich, murmelt ein Gebet und
versucht dann, genau wie ich, bei der rasenden Fahrt, nicht vom Sitz gefegt zu
werden. Endlich im Flugzeug - dachte schon im Bus nach Oaxaca fahren zu
müssen - noch während des Steigflugs, beim Durchstoßen der
Gewitterfront, wird die Maschine der Aeromexico hart durchgerüttelt, was
einige der Passagiere mit erschrecktem Aufschreien quittieren. Ein Blick in die
Tiefe auf den Tenochtitlánsee, der, bunte Lichter spiegelnd, aussieht
als berge er noch immer Moctezumas verlorenen Schatz, entschädigt für
den ausgestandenen Schrecken. Schließlich nach dem Einflug in die
Täler von Cd. Oaxaca, kippt die Maschine über die rechte
Tragfläche ab und die erleuchteten Straßen und Häuser der alten
Kolonialstadt erscheinen aus der Dunkelheit, ein irrlichternd schimmerndes
Schachbrett, in dessen Zentrum die angestrahlte Kathedrale.
Am Flughafen von
Oaxaca, den ich schon aus Bildern von NOTICIAS, Voz y Imagen de Oaxaca ,
Edición Digital kannte, hatte ich bei der obligatorischen
Auscheck-Lotterie Glück und bekam bei dem Druck auf den ominösen
roten Knopf grünes Licht und konnte mit meinem Gepäck ohne weitere
Überprüfung auf die Suche nach einem taxi segura gehen. Am Ausgang in
die Halle standen, mir schon in ihrer Neugier fremd, Mengen von Leuten als
würde eine siegreiche Fußballmannschaft erwartet, trotzdem
erspähte mich sogleich ein taxista und bot mir seine Dienste an, die ich
zunächst ablehnte (¡taxi segura! das sichere Taxi war mir auf allen
Internetseiten eingeschärft worden) und nach Kauf eines Tickets an einem
Kiosk dann doch in Anspruch nahm, da sein Sammeltaxi, zu meinem Erstaunen schon
mit einer zahlreichen Fahrgesellschaft aufgefüllt, wohl nur noch auf einen
Passagier gewartet hatte. Den Koffer hinter der rückwärtigen Klappe
verstaut, konnte die wilde Fahrt losgehen, nachdem ich mich mit einer spanisch
gemurmelten Entschuldigung neben ein mexicanisches Paar gequetscht und der
taxista von seinem heruntergklappten Notsitz den Autoschlüssel an seinen
Sohn auf dem Fahrersitz weitergereicht hatte. Auf der Straßenmitte oder
der Busspur, meist aber links fahrend, auf zwei Rädern in den Kurven,
einen großen Bus, der unvorhersehbar in eine schmale Einfahrt bog, fast
(fast!) rammend, wurden die Passagiere nach und nach auf ihre Fahrtziele
verteilt.
Meine Adresse hatte ich auswendig gelernt: Casa de María,
Belisario Dominguez 205, Colonia Reforma. Es fing an zu regnen als wir dort
ankamen, mit meinen großen und schweren 'maleto', "verdadero un maleto",
wie der taxista spottete, weil Koffer eigentlich la maleta heißt,
rollerte ich einige Male in der matten Straßenbeleuchtung vor meiner
zukünftigen Bleibe auf und ab, bis ich den unscheinbaren Klingelknopf
entdeckte, auf dessen Betätigung Carlos Schritte ertönten und bald
darauf das Tor geöffnet wurde. ¡fascinante! erwiderte Carlos sanft
aber mit Nachdruck auf meine Bemerkung ¡México es fascinoso!
während wir den Plattenweg neben der sattgrünen Rasenfläche, die
von einer ausladenden Dattelpalme beherrscht wurde hinauf zur kleinen
Eingangshalle gingen.
Das kühle Zimmer mit zwei Betten, einer Dusche
und feinen Drahtnetzen an den Fenstern zur Abwehr von Mücken und Moskitos,
machte mit seinem, dem indianischen Kunsthandwerk entlehnten, Zimmerschmuck
einen gemütlichen Eindruck, so schlief ich unter den dünnen Laken bis
zum Weckerton um 7.00 Uhr Ortszeit, um für das für 10 Uhr verabredete
historische Treffen mit Dr. Pablo Mumenthey bereit zu sein.
Sonntag, 14.
Juli 2002. Als einer der direkten Nachkommen des 1827 aus dem Harz
ausgewanderten und seit 1842 in México verschollen geltenden Absolventen
der Bergschule Clausthal, August Wilhelm Mummenthey, sollte Pablo heute mit mir
als einem Mummenthey aus der mütterlichen Linie der
Hannoversch/Calenberger-Mummentheys zusammentreffen. Pünktlich um 10 Uhr
ertönte die Glocke und Carlos eilte herzu, das Tor zu öffnen. "Dr.
Mumenthey, supongo", sagte ich, die Worte Stanleys an Dr. Livingstone
abwandelnd, darauf Pablo: "¡Folker!" und wir fielen uns in die Arme und
dachten beide, wie wir uns später eingestanden, mit einem fast
sentimentalen Gefühl an die Bedeutung dieser Begegnung auf mexicanischem
Boden, mehr als 170 Jahre nach der Auswanderung und vielen Jahren der Suche
nach dem verschollen geglaubten und vielen Jahren der Versuche, die Herkunft
dieses auch in México so auffälligen Namens zu klären.
Wie
Pablo mir in einer Email schrieb, in seiner fast poetischen
spanisch/mexicanischen Diktion, von der unterschiedlichen Weitergabe und dem
Erhalt der Merkmale und Züge der 'rasgo Mumenthey' in dem weit verzweigten
Familienbaum, sah ich in seinen Augen den Blick August Wilhelm Mummentheys und
dieses Gefühl der Nähe erfaßte mich wieder bei meiner Ankunft
in Niltepec, dem nach Cd. Oaxaca eigentlichen Ursprungsort der mexicanischen
Familie Mumenthey. Nachdem wir uns eine Weile auf der grün gestrichenen
gußeisernen Sitzgruppe englisch plaudernd bekannt gemacht hatten, kam
Eustaquio Pacheco Mumenthey, groß, schlank, das ehemals blonde Haar
gelichtet, behende trotz seiner 92 Jahre und mit den Zügen, die auch an
mir gefunden, bei den Familientreffen in Niltepec immer wieder zu Vergleichen
mit 'el rasgo Mumenthey' herausforderten.
La Casa de María, Belisario Dominguez 205.
Blütenträume.
Gemütlicher Innenhof der Casa de María.
Hier saßen wir, Pablo und ich, eine Weile, unterhielten uns angeregt auf englisch , bis Eustaquio Pacheco Mumenthey (92 Jahre alt, groß und das schüttere Haar ehemals blond) kam, auf den wir noch gewartet hatten .
August Wilhelm Mummenthey, geb. 29. Dez. 1803 in St. Andreasberg/Harz . Absolvent der Bergschule Clausthal. Im Alter von fast 24 Jahren 1827 nach Oaxaca, Mexico ausgewandert. Um 1830 Heirat mit Clara Joaquina Martel. Um 1833 Geburt des Sohnes Agustín. August Wilhelm Mummenthey (Rufname Wilhelm/ Guillermo) gilt seit 1842 ( Eintragung im Herzberger Kirchenbuch als Pate aus Mexico) als verschollen.
Pablo, Enkel von Casimiro Mumenthey Robles und Eustaquio, Sohn von Rosaura Mumenthey Robles.
Eustaquio mit dem Bild seines Ururgroßvaters Guillermo Mummenthey.
Regenzeit in Oaxaca.
Unter den Arkaden ist man vor Regen und Sonne geschützt.
Die Daten des Baumes von Tule, von dem auch Mühlenpfordt als einem Naturwunder berichtete.
Trotz weiten Abstandes und kurzer Brennweite, der Baum, der mit seiner Gegenwart einen großen Teil der Geschichte Oaxacas begleitet hat, sprengt alle Maßstäbe...
.... und lässt fast den Kirchenbau kippen!
Eine weitere Ansicht ....
.... und ein Detail des ausladenden Stammes.
Nach unserem ersten Gespräch
verabschiedeten wir uns von Eustaquio und Pablo führte mich, nach meiner
Feuertaufe am Abend zuvor, in die Gepflogenheiten der Benutzung mexicanischer
Taxis ein. Bus und Taxi waren für die nächsten drei Tage unsere
Hauptbeförderungsmittel. In der Innenstadt aßen wir zu Mittag, die
mexicanische Kost behagte mir von Anfang an, keine Spur von 'Moctezumas Rache',
klar zum Trinken gab es Mineralwasser und in Niltepec später auch zum
Zähneputzen entkeimtes Wasser, das jeden Tag in großen
Plastikbehältern vorbeigebracht wurde, wie in Deutschland die
Tageszeitung. Zwischenzeitlich entlud sich ein heftiger Wolkenbruch und die
kühlen Windstöße trugen die Regenschwaden bis an unseren Tisch
und ich begriff zur Hälfte, die andere folgte in der trockenen Hitze von
über 30° C in Niltepec, 500 km südlicher, warum Pablo mit einer
relativ dicken Jacke bekleidet war.
Als die Sonne wieder hervorkam, machten
wir uns per Bus auf den Weg nach Tule, den berühmten über 2000 Jahre
alten Baum, den auch Mühlenpfordt beschrieb, zu bestaunen. Davor hatten
aber die (indianischen) Götter die Fahrt mit einem der durch ihre bulligen
Motorschnauzen wie überdimensionale Kampfhunde auf Rädern aussehenden
Busse gesetzt, die, für mich unkenntlich, an durch geheime Zeichen
markierten Stellen hielten, von jungen Burschen flankiert, die aus den stets
offenen Türen heraushängend, die Fahrtziele deklamierten und
indigenen Fahrern, welche indianischen Gottheiten gleich auf dem Fahrersitz
thronend, mit stoischer Miene ihre mit schockfarbenen Plastikbändern
umwickelten überdimensionalen Lenkräder millimeterweise bewegten,
wenn sie einen Konkurrenten im Höchsttempo überholten, daß man
kaum einen Sombrero zwischen beiden Bussen hätte hindurchwerfen
können. So hieß es nach dem Einsteigen schnell Platz zu nehmen oder
sich bestens festzuhalten.
Man merkt an der Luftverpestung, daß Mexico
ein erdölproduzierendes Land ist und die Topes, mörderische Schwellen
vor Fußgängerüberwegen und Ortseingängen - die mich zu der
scherzhaften Frage veranlaßten, warum Cd. Oaxaca so viele Vororte mit dem
Namen Tope habe, (dem Hinweisschild auf diese Schwellen, deren Nichtbeachtung
fast einem Totalschaden gleichkommt) - tragen durch das zügige Heranfahren
und jähe Abremsen, dem dann ein gleichermaßen rasantes Anfahren
folgt, mit aufheulenden Motoren, Wolken von Abgasen auswerfend, ihren Teil zu
dieser die Augen und Atmungsorgane merklich attackierenden Umweltbelastung
bei.
Am Abend aßen wir in einem Straßenrestaurant mit einem
leckeren Buffet und ich trank eine Flasche cerveza Sol dazu, Pablo erleichterte
mir die Auswahl aus der mir noch unverständlichen Speisekarte. In der
Nähe von La Casa De María, meinem Hotel, verabredeten wir uns
für den nächsten Tag zu einer Tour in das Minengebiet hoch oben im
Gebirge in der Umgebung von Ixtlán de Juárez, das
Mühlenpfordt, ein Studienfreund August Wilhelm Mummentheys an der
Bergschule Clausthal, der mit ihm vielleicht in Santa María Yavesia
während dessen Tätigkeit für eine englische
Bergwerksgesellschaft gewohnt hat, in seiner Beschreibung des Bundesstaates
Oaxaca als Pfarrdorf und Hauptort eines gleichnamigen Partido nennt.
Blick von der Kirche auf Ixtlán de Juárez.
Hinweise auf Erzverarbeitung?
Die Karte von 1870, aufgenommen von Enrique de Schleyer, Ingenieur des Norddeutschen Bundes, hängt im Palacio Municipal von Ixtlán de Juárez, und zeigt auch noch die Umgebung und die alten Minenorte der englischen Bergwerksgesellschaft Mexican-Company, z.B. Yavesia (links unten am Rand neben der Legende), in dem Mühlenpfordt um 1828 wohnte und die Haciendas del Socorro und Santa Ana, von Mühlenpfordt als Hütte- und Amalgamirwerke, in dem sich von Yavesia nach Nordwesten erstreckenden Tal beschrieben.
Ein Stollenmundloch?
El Río Grande.
Mit einem Bus fuhren wir am
Montag, 15. Juli 2002 zu einer Taxistation, um von hier aus mit einem Taxi nach
Ixtlán de Juárez zu gelangen. Die halsbrecherische Fahrt auf der
kurvenreichen Strecke, Windung auf Windung geht es bergauf, wurde auch von am
Wegrand weidenden Eseln, Kühen und Zonen mit
Geschwindigkeitsbeschränkung wenig behindert, nur die Respekt verlangenden
Topes erzwangen eine drastische Mäßigung des Tempos. Unterwegs
wurden weitere Fahrgäste aufgenommen und andere stiegen aus, obwohl sich
den Beifahrersitz oft zwei Passagiere teilen mußten. Der von
Mühlenpfordt beschriebene Vegetationswechsel zu fast europäischer
Bewaldung in den Höhen ist auf der 57 km langen Strecke gut zu beobachten.
Kurz vor Ixtlán fahren wir durch Guelatao Juárez hindurch, dem
Geburtsort des großen, unbeugsamen und geradlinigen Landesvaters
Méxicos, Benito Juárez, dessen Porträt in keiner Amtsstube
fehlt.
Leider finden wir den Pfarrer der Kirche in Ixtlán nicht an
und wir beschließen, nach Santa María Yavesia weiterzufahren.
Vorher statten wir dem palacio municipal einen Besuch ab, wo uns auch der
presidente municipal in den kurzen Pausen, in denen sein Diensttelefon, das
Mobiltelefon und der Sprechfunkverkehr der Dienstwagen, sowie hereineilende
Beamte Zeit lassen, seine Hilfe zusichert und auf die Kirchenregister am Ort
verweist. Nachdem ich die schöne und informative Karte von 1870 (siehe
großes Bild oben), aufgenommen von Enrique de Schleyer, Ingenieur des
Norddeutschen Bundes, einige Male fotografiert hatte und wir im Kirchenregister
angekommen, feststellen mußten, daß die für uns interessanten
Jahrgänge in Oaxaca lagern, mieteten wir für 35$ completo ein Taxi,
das uns nach Santa María Yavesia und auch wieder zurückbringen
sollte.
Blick auf die Kirche von Santa María Yavesia vom Palacio Municipal aus. Diese beiden Bilder werden wohl die von Mühlenpfordt gemeinten "Gehänge(n) der tiefen Thalschlucht" zeigen, "welche sich von dem Dörfchen Yavesía gegen Nordwesten zieht", an denen die Gruben der englischen Bergwerksgesellschaft 'Mexican-Company' lagen, zu denen "auch die in diesem Thale gelegenen Hütte- und Amalgmirwerke Yavesia, Nuestra Señora del Socórro und Santa Ana..." gehören, Mühlenpfordt a.a.O. S. 214f.
Das Tal weiter bergauf, rechts von der Kirche. Bergab ist die Richtung Nord-West auf Ixtlán zu, woher wir kamen.
El Palacio Municipal.
Pablo y el equipo del palacio municipal de Santa María Yavesia.
Minas?.
El acueducto sobre del río grande cerca Santa María Yavesia. Cuadro en el palacio municipal de Santa María Yavesia.
Minas?.
Valle de Oaxaca.
Wir passieren den Río
grande, nun ein schmales Rinnsal, zu Zeiten des Erzabbaus und der
Erzverarbeitung wohl wasserreicher. Schließlich ist der Weg nur noch eine
steinige Piste, die sich schmal und uneben, die Achsen und Federung unseres
Taxis arg strapazierend, dahinwindet. Vor dem Ortseingang von Santa
María Yavesia kommen wir nochmals am Río grande vorbei, an dessen Ufer
verfallene Aquädukte von einer Vergangenheit künden, die durch Abbau
und Verarbeitung des Erzes geprägt war. Im Palacio municipal, wo ein Bild
eines der alten Aquädukte hängt, werde ich von Pablo als sobrino aus
Deutschland vorgestellt, es wird lange (leider in spanisch, español, no
castellano!) gesprochen: ein ruhiges und ausführliches Gespräch
scheint in México sehr wichtig zu sein! Der älteste Mann des Ortes
ist geholt worden und er erzählt uns aus der Zeit der Grube Natividad.
Einige Worte verstehe ich und aus Mimik und Gestik reime ich mir "Zerkleinerung
in Pochwerken, Vortrennung durch Wasser und weitere Verarbeitung mit
Quecksilber in Amalgamierwerken" zusammen, was Pablo mir anschließend
durch seine Zusammenfassung auf englisch bestätigt.
Gegen 14.30 Uhr,
nach Fotos und dem Austausch von Emailadressen, wollen wir uns mit dem geduldig
im Schatten eines Vordaches wartenden taxista auf den Weg machen, steigen aber
nochmals aus, um uns ins Gästebuch einzutragen. Yavesia liegt in einem
schmalen und steilen Tal des Río grande, die Häuser sind längs
der beiden Seiten an den Talhängen errichtet. Alte Wohngebäude aus
der Zeit um 1830 finden sich nicht mehr, aber wir haben den Ort gesehen, in dem
für eine Zeit Mühlenpfordt und vielleicht auch August Wilhelm
Mummenthey gelebt haben.
Auf dem Rückweg nach Ixtlán halten wir
noch mehrere Male an, um nach Überresten der Berg- und
Hüttenindustrie in diesem alten Minenrevier Ausschau zu halten. Die im
Internet zum Bergbau im Bundesland Oaxaca erhältlichen Quellen
beschäftigen sich überwiegend mit der Zeit zurück bis 1916, da
fehlt fast ein ganzes Jahrhundert! Es wird aber auch von Gruben im
Isthmusgebiet von Tehuantepec berichtet, zu deren Erkundung AWM auch in die
Gegend nahe Niltepec hätte gekommen sein können. Mühlenpfordt
beschreibt einige Reisen, an denen auch seine Frau, wie er zu Pferde,
teilgenommen hat, während ihre in México geborenen Kinder in der
Obhut des Hauspersonals blieben. Das bislang ungeklärte Schicksal der wohl
beide verschollenen Eltern, des im Alter von etwa zehn Jahren von Fray Ojeda
nach Niltepec gebrachten Agustín Mometey, könnte in einer solchen
Reise seinen unheilvollen Anfang genommen haben.
In Ixtlán
zurück, essen wir in einem kleinen Restaurant: Fleisch, Gemüse, Chili
und Obstsaft. Leider war der Pfarrer immer noch nicht da und würde auch
erst am nächsten Tag zurückkehren. Pablo schrieb für ihn eine
Notiz und nach einigen Fotos machten wir uns auf die Rückfahrt nach Cd.
Oaxaca. War die Fahrt rauf schon abenteuerlich gewesen, so gab es jetzt noch
eine Steigerung, schroffe Felsen links und Abhänge bis 900m tief rechts,
die Reifen quietschten zwar nie und es gab auch keine brenzlige Situation aber
die Geschwindigkeit lag immer in einem nur gefühlten schwammigen
Grenzbereich, der prüfende Blick auf den Tacho offenbarte: die Nadel stand
wie bei Null festgeklebt! Froh, heil an der Taxistation angekommen zu sein,
ging der Adrenalinausstoß weiter: mit einem der unzähligen Busse,
hochbeinigen, röhrenden Monstern, in denen man sich wirklich gut
festhalten muß und, bevor man sich setzt, die Beschaffenheit (harter
Kunststoff oder Polster) des Sitzes sorgfältig prüfen sollte, nach
einer nun immer beherzigten Erfahrung mit dem Flughafenbus in México
D.F. wo ich mich zu sehr mit Caracho auf einen - harten Sitz geschwungen hatte,
fuhren wir weiter, um Downtown (Pablo) in der Altstadt einige Besorgungen zu
erledigen.
Nach einem leckeren Abendessen in einem der zahlreichen
Straßenrestaurants - 'die mexicanische Küche gefällt mir',
steht ich in meinen Reisenotizen - fahren wir mit dem Taxi zu meinem Hotel La
Casa de María zurück und verabreden uns für 9.00 Uhr am
nächsten Morgen zur Suche in den Archivos von Cd. Oaxaca.
Die Kirche in Ixtlán.
Pablo notiert eine Nachricht für den Pfarrer der Kirche, uns bei der Suche nach Mumenthey und Mühlenpfordt behilflich zu sein.
Dienstag, 16. Juli 2002. Gegen
7.00 Uhr stehe ich spätestens auf. In Deutschland ist es dann schon 14.00
Uhr nachmittags. Hier, zum Früstück gibt es verschiedene Sorten
Cornflakes mit Milch (amerikanisches Frühstück), zu denen ich mir
heimische Bananen in Scheiben schneide, wohlschmeckenden Orangensaft und zu
einem Donut oder Brötchen mit Hagelzucker einen großen Milchkaffee.
Es gibt aber auf Wunsch auch mehr heimisches, was ich am Tag meiner Abreise
auskoste. Mit den Gästen aus Kanada, Nordamerika und México, von
den letzteren konnten einige durch Geschäftsverbindungen und Aufenthalte
etwas deutsch, unterhielt ich mich immer lebhaft in englisch, spanisch und
deutsch. Der Umgang mit den mexicanischen Gästen des Hotels und ihren
Familienangehörigen war locker, doch auch von einer entgegenkommenden
Höflichkeit und Wertschätzung geprägt, die sie, man spürte
es, auch von mir erwarteten, wenn wir uns in der Eingangshalle zu einem
Gespräch trafen, was mir im nachhinein, beim Schreiben dieser Zeilen in
der situativen Erinnerung der Begegnungen nochmals ganz deutlich wurde. Wie
auch in Spanien, wird auf gute soziale Beziehungen und Kontakte sehr viel Wert
gelegt, eine Wertschätzung, die sich auf meiner ganzen Reise und in den
vielen Emails immer wieder findet.
Im sonnigen aber auch schattenbietenden
Innenhof konnte man es gut aushalten, nachdenken, lesen, sich unterhalten oder
einfach nur dasitzen. An den exotischen Blüten saugen fast
handspannengroße bunte Schmetterlinge und auch ein scheuer Kolibri
ließ sich von fern bestaunen.
Eine Dattelpalme beschirmt den Innenhof.
Mein Zimmer.
Ein Selbstportrait.
Es ist sonnig und trotzdem angenehm kühl.
Eingangshalle.
Pablo ist nie mehr so
pünktlich gewesen, wie am Sonntag. Da hätte er sich besondere
Mühe gegeben, erklärte er mir lächelnd. Bei jeder
Verspätung argwöhne ich, er sei nicht heil in seinem Hotel
angekommen, nachdem er mich vor meinem sicher abgeliefert hatte. Er
behütete mich wie seinen Augapfel und ließ mich alle Wege vorangehen,
mich fest im Blick und rechtzeitig vor allen Gefahrenpunkten warnend. Nur, in
Hannover muß man auch auf der Hut sein, seit die Gelder für den
Unterhalt und die Reparatur von Straßen und Gehwegen immer knapper
geworden sind. Auch in Cd. Oaxaca muß man
seine Augen offenhalten, sonst landet man schon einmal unverhofft mehr als
einen Meter unter dem üblichen Nivellement - in der Realität aber
auch metaphorisch!
Er habe noch Bekannte getroffen, die ihn so lange
aufgehalten hätten, erklärte mir Pablo entschuldigend, pfiff und
winkte ein Taxi herbei, mit dem wir uns in Richtung Innenstadt auf die Suche
nach dem Zentralen Archiv des Staates und der Stadt Oaxaca machten. Im
übrigen sei es in Oaxaca sicher, hier brauchte ich mir keine Sorgen zu
machen, im Gegensatz zu México D.F., das er aus seiner Studienzeit
kennt. Der Taxifahrer mußte wegen der vielen Baustellen um einige
Schachbrettfelder Umwege fahren und fragte, weil er nun auch nicht mehr weiter
wußte, vor einer Kreuzung einen Polizisten. Der hieß ihn mit einer
kurzen Handbewegung sein Taxi etwas zurücksetzen, um in aller Ruhe den
Fall zu besprechen. Nach einem Mobiltelefongespräch war die Richtung klar
und wir hielten nach einem Umweg um eine weitere Baustelle richtig vor dem
Zentralarchiv.
Drinnen die Angestellten mit weißem Mundschutz wie in
einem Krankenhausfilm. Wieder lange Gespräche und dann die
Überprüfung verschiedener Dokumente aus der Zeit um 1830: Bergbau,
Kirche, Ausländer usw. bis sich die Augen wie Marmorkugeln anfühlten.
Nichts! ¡Que lástima! Aber viele interessante und wichtige Leute
für die Weiterarbeit kennengelernt, die bei den nächsten Aufenthalten
in Oaxaca wieder angesprochen werden wollen. Nach dem Essen in dem
Straßenrestaurant vom Abend zuvor, Erledigung einiger Besorgungen und
dann der Besuch der Kathedrale. Es ist ein schönes großes, reich
geschmücktes Gotteshaus und erinnerte mich an den Dom zu Xanten. Wir
gingen langsam hindurch, an einer Ecke wurde gebaut, gingen hinaus in das
Kirchenbüro und erfuhren dort, daß el sacerdote nach Médina
gefahren sei. ¡Que lástima, tenemos mala suerte con los
clérigos! Nach einem anschließenden Besuch im nahegelegenen
Museum, wo wir das Buch mit den Beschreibungen, Skizzen und Aufrissen
Mühlenpfordts über 'Los Palacios de los Zapotecos en Mitla',
México 1984 und das in spanisch übersetzte Oaxaca-Kapitel seines
"Versuch einer getreuen Schilderung der Republik Mexiko", Hannover 1844 fanden,
war nun auch für Pablo die Rolle Emil Mühlenpfordts als 'Leitfossil'
erkennbar bei der Suche nach Wilhelm Mummenthey, seinem Studienkameraden in
Clausthal, der ein Jahr später im Frhjahr 1828 in Oaxaca angekommen war.
Im
Abgeordnetenhaus, Palacio de los Diputados, bekommen wir ein paar Kekse und -
wichtig einen großen heißen Café, sowie das Versprechen, bei
der Suche in den Kirchenbüchern der Kathedrale behilflich zu sein. Auf
einem der allgegenwärtigen Computer zeige ich meine Sitio web mit der
Seite der Suche nach dem Auswanderer nach Oaxaca!
Die Straßen in Cd. Oaxaca farbenfroh ....
... in der Bemalung der Fassaden.
Repräsentativer Eingang mit Schutzheiligem.
Die überwiegend zweigeschossige Bauweise wird von den umgebenden Bergzügen mühelos überboten.
In der Nähe Museum und Archiv, in dem wir nach AWM suchten.
Dienstag, spät am Abend will Pablo nach Niltepec zurückfahren. Am Busbahnhof (Erster Klasse) kaufen wir für mich schon eine Karte für 12.00 Uhr am nächsten Tag, da die Plätze im Cristóbal Colón immer rar sind. Nach dem Abendessen verabschieden wir uns schweren Herzens voneinander mit dem Versprechen, uns am Sábado in Niltepec wieder zu sehen. Pablos Englischkurs in Cd. Oaxaca war ausgefallen, so hatte er nur für mich und AWM drei Tage den geduldigen und aufmerksamen Fremdenführer gespielt.
Ein Ausflug a pie entlang der Belisario Dominguez und zur estación de autobuses.
Straßenszene an der Belisario Dominguez in der Nähe meines Hotels .
Aufruf an die Autofahrer, die Signale der Fußgängerampel und das Leben der Nachbarn zu respektieren.
Nach links hinunter, dort entlang , wo der Bus mit der Schnauze herkommt, liegt la estación de autobuses, primero clase (Cristóbal Colón).
Auf den Rückweg zu meinem Hotel.
BUBULUBU y LUBRICANTES.
Licht und Farben.
Verde.
Auch hier die schachbrettartig angelegten Straßenzüge.
Kleine Läden in der Colonia Reforma.
Zurück an der Belisario Dominguez.
Mittwoch, 17. Juli 2002. Nun
heißt es, die Zelte im schönen, kühlen und schon vertrauten
Oaxaca, Oax. abzubrechen: also Koffer packen, Taxi bestellen, Pablo hatte mir
nochmals eingeschärft, wieviel ich für die Fahrt zur estación
de autobuses bezahlen darf, Reiseproviant besorgen und von allen zu verabschieden. María machte mir
noch ein schönes mexicanisches Frühstück und versprach, mir ein
Taxi zu bestellen.
Da ich nach dem Frühstück und Kofferpacken
noch Zeit hatte, ging ich den Weg zur Busstation nochmals ab und machte
Aufnahmen meines Viertels. Kaufte mir an einem Kiosk etwas Leckeres zu essen
für unterwegs, was auch gut eingepackt war und eine Zeitung. Zurück
in La Casa de María ging alles ganz schnell.
Verabschiedung von den neuen Freunden und von María, die mich zum
Schluß, meine Mumenthey-Geschichte hatte ich auch ihr in spanisch mehrere
Male erzählt, herzlich in den Arm nahm und mir viel Glück
wünschte bei meinen parrientes in Ixtepec und Niltepec.
Wieder am
Busbahnhof, nach kurzer Taxifahrt, lese ich ein wenig in NOTICIAS und betrachte
in aller Ruhe die vielen Leute mit den unterschiedlichen Gesichtszügen
aller Farbschattierungen. In Deutschland hatte ich schon dunkel gebräunt
die Reise angetreten, meine Körpergröße, die blauen Augen und
blonden Haare ließen mich doch wie ein Gringo aussehen, so erwiderte ich
allen kritischen Blicken ein vernehmliches ¡Soy alemán! Zwanzig
vor 12 rollerte ich meinen Koffer, den Rucksack geschultert zu den
'Caballeros'. Überall, wo es in México Geld kostet, gibt es ein
boleto, so fingere ich eine entsprechende Pesomünze aus der Hosentasche
und versuche, den Koffer durch die Drehkreuzsperre zu ziehen. Da auch das gut
gemeinte ¡bajo! nicht ging, mußte ich meinen 'maleto' zweimal
über das Drehkreuz heben. So saubere Toiletten wie hier oder in
México D.F. habe ich weder in Hamburg noch in Frankfurt auf dem Flughafen
gefunden.
Inzwischen hatte sich an der Salida 1 schon eine Schlange
gebildet, in die ich mich einreihte. An der Gepäckklappe des Busses die
nächste Schlange, in der alle geduldig warten. Den Rucksack auf der
Schulter, suche ich mit gelegentlichen Blicken auf meine Fahrkarte, meinen
Sitzplatz. Ein Herr in meinem Alter steht höflich auf und läßt
mich auf meinen Fensterplatz. Der geräumige Mercedes-Reisebus hat bequeme
Sitzplätze und eine Klimaanlage, die es ratsam sein läßt, wenn
man an die Hitze des Istmo-Gebietes sich gewöhnt hat, wie später ich
in Ixtepec und Niltepec, etwas zum Überziehen dabei zu haben. Wir
passieren den Vorort Tule mit seinem mächtigen Baum - in sechs Stunden,
etwa gegen 18.00 Uhr werden wir ankommen. "Soy alemán de Hannover",
beginne ich ein Gespräch, meine cincuenta palabras sortierend, mit meinem
Sitznachbarn.