A R Z U A  -  M O N T E   D O   G O Z O

 
 
 
 

In der Nacht hatte es noch in Strömen gegossen. Gegen Morgen klarte es auf, die Luft war aber noch dunstig und feuchtigkeitsgeschwängert. Das erste Bild machte ich kurz nach halb neun, eineinhalb Stunden nach meinem Aufbruch aus dem am Nachmittag und Abend noch sonnigen Arzúa. In der morgendlichen Dunkelheit, auf einem schon am Tage düsteren Waldweg, wo man ohne Lampe die sprichwörtliche Hand vor Augen nicht sah, traf ich auf zwei Franzosen, die mich vorsorglich schon von weit her anriefen, als sie den schwankenden Schein meiner Taschenlampe wahrnahmen. Der Glühfaden ihrer Lampe war durchgebrannt und sie freuten sich sehr über mein Kommen. Der ältere der beiden hatte den camino francés schon einige Male solo geschafft, wie er mir auf englisch erzählte - mein karges Französisch brauchte ich also nicht zu bemühen, es ist verdrängt von der mir angenehmeren spanischen Sprache, die ich auch für meine parientes in Oaxaca, México lerne, weil sie mir nicht mehr in englisch schreiben wollen. Als es dann hell wurde, ein trüber Morgen, verabschiedeten sich die beiden mit Dankesworten, sie wollten noch möglichst weit kommen auf dieser Strecke - mein Hinkebein mußte erst wieder eingelaufen werden, es ging noch nicht so schnell. Lahm, wie ich war, erzielte ich kaum das im Dumont angegebene Durchschnittstempo, welches ich ohne die Schmerzen im Knie immer überboten hatte. Auch machte sich die elastische Binde immer mal wieder selbständig, so gut wie beim ersten Anlegen auf der Etappe am Vortag - mit Klebestreifen, weil ich die Sicherheitsnadeln nicht finden konnte, schaffte ich es nie wieder.

 
 

9.32 Uhr: In der Nähe von A Calzada.

Der Weg verschwindet im Dunst, aber den Kilometerstein sieht der aufmerksame peregrino sofort.

 
 

Vom gleichen Standort, nur mit kürzerer Brennweite.

8.46 Uhr: 30 km bis Santiago de Compostela.

 
 

Zwischendurch gibt es ein paar Tropfen Regen.

Auf dem Weg nach Calle.

 
 

Ortsrand von Calle.

Sorgfältig achte ich auf den Weg.

 
 

Die alte Calzada führt unter einem Hórreo hindurch.

Der Hórreo stützt sich auf den die Calzada begleitenden Mauern ab.

 
 

Das Dorf Calle zieht sich in die Länge.

Bruchsteinmauern.

 
 

Weinreben.

Furt mit Trittsteinen und Waschplatz in Calle.

 
 

Ziegel überdacht von Weinlaub und Trauben .

 
 
 

Einsamer Peregrino.

Ein Briefkasten geschmückt mit Jacobsmuscheln.

 
 

Efeu und ein hübsches Namenschild.

Dichtes Brombeergerank säumt den Weg.

 
 

Die Brombeeren leuchten auch ohne Sonne.

 
 
 

Boavista.

9.59 Uhr: Steinmauer und Stielkohl.

 

Nun war ich drei Stunden unterwegs. In einer halben Stunde würde ich Rast machen, das bocadillo aus Arzúa verzehren und dazu Wasser aus der Flasche trinken. Zwischendurch hatte es immer mal wieder geregnet. Chubasquero an, chubasquero aus - bis ich mit stoischer Ruhe, die Nässe von oben, die dann leicht wieder trocknete, dem Schwitzen unter der Regenpelle vorzog. Ich freute mich auf Santiago de Compostela und hoffte, früh genug dort anzukommen, um alles zu erledigen, was ich mir vorgenommen hatte: Bücher, CDs und Reiseandenken kaufen, in der Uni-Bibliothek nach einer spanischen Heine-Ausgabe fragen, Museen und Ausstellungen und vor allem die Kathedrale besuchen. Zusätzlich war eine Busfahrt nach Cabo Fisterra fest eingeplant. Zeit war eigentlich genug, wenn ich auch, einmal angekommen, gerne viel länger geblieben wäre, die movida Santiagos hatte mich in ihren Bann gezogen.
Aber meine Gedanken sind in der Erinnerung ein wenig vorausgeeilt, noch war diese Etappe nicht vollbracht und es sollte noch einige Überraschungen geben!

 
 

Die Windungen des Weges mal mit langer ...

... mal mit kurzer Brennweite.

 
 

Am Ortsrand von Salceda.

Galicischer Stielkohl.

 
 

Feldblumen.

Ein leuchtendes Gelb.

 
 

Etwas Sonne fehlt doch!

Am Rande eines Waldes an einem bergan führenden Weg fand ich dies kleine Denkmal für Guillermo Watt, der mit 69 Jahren auf dem Weg nach Santiago de Compostela auf seiner Pilgerfahrt starb.Von Gott umarmt, wie die Inschrift verheißt, wird er sein Ziel erreicht haben, hoffe ich, auch ohne, daß ihn seine Füße noch in die Mauern von Santiago getragen haben.
Ein kleines Glockenblümchen brach ich zu seinem Gedenken ab und legte es zu den anderen schon vertrockneten Blumen und den Steinen, die von Pilgern vor mir für G.W. hingelegt wurden.
 
 

Guillermo Watt - Pilger - Umarmt von Gott mit 69 Jahren auf einem Marsch nach Santiago - 25. August 1993, im Heiligen Jahr - Er lebe in Christo

 
 
 

Die Pilgersandalen.

Memorial a Guillermo Watt.

 
 

10.45 Uhr: Nahe Ras. Noch 24 km bis Santiago de Compostela.

10.47 Uhr: Ras mit Mais und Wein.

 
 

Rosenbusch und gelber Pfeil.

10.56 Uhr: Adios Ras!

 
 

11.46 Uhr: Sägewerk.

Herbstidylle.

 
 

Auf dem Weg nach Rúa.

Hoher Eukalyptuswald.

 
 

Das Laub der jungen Eukalyptusbäume hat ein unangenehmes Blau-Grün.

Die Eukalyptuswälder, denen man umso öfter begegnet je weiter man sich Santiago nähert, werden nicht vertrauter durch die Häufung ihrer Präsens, eher nimmt eine fast allergische Reaktion auf das giftige Blau-Grün der jungen Triebe und Blätter zu, wenn der ungehinderte Blick durch die lichten Reihen der hohen Stämme an die giftigen Zersetzungsprodukte der Blätter erinnert, die das Unterholz und die Tierwelt vernichten: ein Wald ohne Fliegengesumm und Vogelzwitschern! Dafür riecht es wie ein mit Eukalyptus versetztes Nasenspray!
 
 

11.55 Uhr: Rúa.

Lichtblick.

 
 

Rosen und ....

Fuchsien schmücken die Straßenseite der Häuser.

 
 

11.57 Uhr: Nur noch laufen, laufen, laufen - wann endlich kommt Pedrouzo?

12.40 Uhr: Pedrouzo (Gemeinde Arca).

 
 

Cruzeiro in Pedrouzo.

Die Kirche weiter oben im alten Ortskern von Pedrouzo war verschlossen, als ich sie nach langem Herumlaufen auf der Suche nach einer habitación und dem Stempel für meine Credencial erreichte. So suchte ich entlang der Ortsdurchfahrt, zurück bis Arca und vorwärts bis San Antón nach einer Bleibe, doch ich hatte kein Glück. Trotz tatkräftiger Mithilfe der angesprochenen Einwohner ergab auch die letzte Möglichkeit: Martes cerrado. Fast hatte ich den Kalender vergessen, es war Dienstag und am nächsten Tag sollte die letzte Etappe nach Santiago gestartet werden. Das sah jetzt nicht nur vom Wetter schlecht aus. In der Hoffnung doch noch etwas zu finden, ging ich auf dem schmalen Randstreifen der N547 weiter, dem zermalmten Getier ausweichend, das vom rasenden Moloch Verkehr mir vor die Füße geworfen worden war. Nun begriff ich die Warnungen, statt des camino die N457 zu begehen. Auf der Karte ist es nur ein kleines Stück von drei Kilometern, doch schien es mir Ewigkeiten gedauert zu haben, bis zu meinem Glück der camino nach der Ortschaft Amonal meinen Weg kreuzte und ich glücklich wie der heimgekehrte Sohn seiner Bahn wieder folgen konnte. Eine Bleibe hatte ich zwar immer noch nicht und von jenseits des Passes war vernehmliches Donnergrollen zu hören.
 
 

15.08 Uhr: Der Wolkenbruch ist vorbei - die Schuhe quietschnass, die Hosen bis an die Knie triefend geht es weiter.

Einbahnstraße.

 
 

Es regnet ....

... und regnet ....

 
 

...und regnet.

Auf der Suche nach ducha y comida.

 
 

Ohne diese gut gelaunten und unermüdlichen peregrinas hätte ich es nicht geschafft.

Das Wetter ist unberechenbar.

 

Diese Etappe nach Monte do Gozo (eigentlich nur nach Pedrouzo) war wie die von Triacastela nach Sarria eine arge Prüfung. Der Zeitstempel der Kamera zeigt deutlich große Lücken, in denen ich wohl nur verbissen gelaufen sein mag und gibt einen Überblick zu der Gesamtzeit. Kurz nachdem ich nach Amonal die N 547 verlassen hatte, ging der Wolkenbruch los, der mich in fieberhafter Eile - nur nicht unter einen Baum stellen, ¡Gewitter! - den bis zu den Knöcheln reichenden chubasquero überstreifen lies. Eine hilfreiche Hand zog im Vorbeigehn rasch die Rückenpartie über den sperrigen Rucksack, später in der Cafeteria von Monte do Gozo lernte ich auch noch die dazugehörige Person mit Begleiterin kennen, nun noch sämtliche Druckknöpfe verschlossen, daß einer fehlte, machte sich durch einen nicht unerheblichen Wassereinbruch in meine Umhängetasche, wobei der Dumont an einer Ecke irreparabel durchfeuchtet wurde, bemerkbar, dann hieß es fight or flight. Eine Weile lief ich, der tiefen Pfützen nicht mehr achtend, bis zu den Knien war schon alles patschnass, bis ich auf eine kleine Gruppe spanischer peregrinas traf, mit denen ich nun auf die Suche nach ducha y comida ging. Die Fotos direkt im Text bekam ich zu meiner großen Freude per Email zugesandt und habe mich auch gleich revanchiert, so erblicke ich mich am Ende der Etappe, entgegen allem Notizbuch-Geunke, noch erstaunlich munter aussehend, mit Mütze, Rucksack, Kamera und Stock, wie es die Ausschnitte zeigen. Der chubasquero liegt immer noch griffbereit über der Umhängetasche. Irgendwann während unserer kleinen witzigen Gespräche kam heraus, daß wir versuchten, uns Monte do Gozo zu nähern, einem mir aus dem Internet bekannten Ort als Endpunkt einer als zu langen und daher verworfenen Etappe Ribadiso - Monte do Gozo von knapp 40 km. Die durch meinen Start in Arzúa um fünf Kilometer verkürzte Strecke ist mit 35 km die längste Etappe, abgesehen von einigen Umwegen und Suchaktionen in und nach dem Ort Pedrouzo (Martes cerrado!), die ich auf dem Camino de Galicia gegangen bin.
'Die Füße gehen nur noch automatisch, der Rucksack (11 kg ) sitzt wie angewachsen', habe ich in meinen Reisenotizen stehen - gut daß ich mir in Sarria noch das leichte Sweatshirt gekauft habe, es trocknet so schnell wie meine Trekkinghose, die sich ebenfalls bewährt hat.

 
 

16.32 Uhr: Das Ziel ist nah! Ein Bild meiner tapferen Wegbegleiter, wir trafen uns nochmals in der Kathedrale von Santiago de Compostela.

16.33 Uhr: Eins der hübscheren Häuser der näheren Umgebung.

 
 
Die Pilgerbeherbergung an den Hängen des Monte do Gozo war für den Papstbesuch 1989 errichtet worden. Monte do Gozo heißt auf galego Montxoi, Berg der Freude, weil von hier aus, wenn nicht wolkenverhangen, die Türme der Kathedrale von Santiago de Compostela erstmals gesehen werden konnten. Für mich war es eine Freude, die Aussicht auf eine Dusche und einen heißen Café con leche in greifbare Nähe gerückt zu sehen.

16.36 Uhr: Monte do Gozo. Das große Pilgerdenkmal, schräg und ....

 
 

... von der Seite.

16.47 Uhr: Auf dem Weg zu meiner habitación - Cruzeiro im Nieselregen.

 

Als ich meine habitación betreten und den Rucksack abgelegt hatte, setzte ich mich zuerst einen Moment auf einen Stuhl. Nach dem Duschen, stand ich eine Weile und ließ mit dem Wasser auch Mühsal und Schmerzen der überstandenen Etappe abtropfen, zog mir saubere Kleidung an und ging in die Cafeteria, wo ich meine Wegbegleiterinnen und ihre Männer, von denen einer mir in der Reception bei der Anmeldung geholfen hatte, mit großem Hallo wieder traf.
Fast alle Tische waren besetzt und ich wurde von meiner spanischen Gruppe in ihren Kreis aufgenommen. Rings herum herrschte lautes Gespräch und Mobiltelefongezirpe. Ich sah die Brasilianer, die Spanier mit ihren Kalebassen und einen spanischen peregrino, den ich morgens früh schon getroffen hatte und der mir nun mit einer anerkennenden Geste zunickte. Wir alle freuten uns auf die nur noch kurze Etappe, die uns am nächsten Tag nach Santiago de Compostela bringen sollte. Ich erzählte von meinen Verwandten in México, von der Kirche Santiago Apóstol, in der viele von ihnen getauft worden sind unter dem Patronat von Xacobeo, dessen Bild mit weißem Pferd und Anzug, bei der Fiesta auf einem Kirchenbanner mitgeführt wurde, eine mexicanische Inkarnation des Apostel Matamoros.
Hier traf ich auch den bisher unbekannten Helfer mit seiner Begleiterin, der mir im Wolkenbruch mit dem chubasquero half. Ich gab meinen spanischen Wegbegleitern meine Email- und Internetadresse und hoffe, daß laut Webstatistik, die Zugriffe aus Spanien auf meine Camino-Seiten, die sich allmählich den Deutschen Anwahlen nähern, diese bald überflügeln mögen, wenn die Übersetzung der Texte Fortschritte macht.

 
 
 
©Bilder und Texte: Folker Wagner Mummenthey