Die Etappe nach Triacastela war
noch ganz unbeschwert gewesen, der Rucksack trug sich wie beim Training und das
Tempo war unbekümmert hoch. Das Glücksgefühl, die erste Etappe
so schnell und problemlos geschafft zu haben, überschwemmte alle
Vorsicht.
Am Nachmittag hatte ich mir noch Geld abgehoben und den weiteren
Weg erkundet. Es gab auch hier zwei Varianten: eine über das Kloster
Samos, mit einem etwas weiteren, aber bequemen und übersichtlichen Weg und
eine andere, die ich wählte, über Montán und Calvor. Sie
führt über kleine Fuß- und Viehtriebswege sowie einen Paß
durch traditionelle galicische Bauerndörfer, war also landschaftlich
attraktiver als die Route über Samos.
Gegen abend hatte ich noch in
einer Bar einen Café con leche und eine Tarta de Santiago gegessen und
war von einem etwas angeheiterten Spanier angesprochen worden, der meiner
Unterhaltung mit dem Barmann interressiert gefolgt war und mir nun wortreich
und hartnäckig die Route über Samos ans Herz legen wollte. Der
Barmann, der zwischendurch mit einem Schnitzmesser den Vorrat an
Jakobsstöcken, die in der Tür der Bar zum Verkauf standen,
vergrößerte, machte mit Daumen und Fingern das Zeichen für
Schnattern, doch mir schoss das Wort von den Kindern und den Betrunkenen durch
den Kopf, die angeblich die Wahrheit sagen. Auch versuchte ich verzweifelt und
vergeblich mir den genauen Inhalt eines Gespräches zwischen Tür und
Angel vor meiner Abreise über die beiden Wegmöglichkeiten ins
Gedächtnis zurückzurufen. Ob ich, wenn ich gewußt hätte,
was ich nach meiner Rückkehr erfuhr, die Route über Samos
gewählt hätte, kann ich nicht mit Gewißheit sagen, ich
hätte aber einige bittere, wenn auch nützliche Erfahrungen und Fotos
weniger gemacht. Merkwürdig ist es aber schon, dass ich mich gerade auf
dieser Etappe so krass verlaufen habe!
Nebel braut in den Tälern.
Neben bewohnten Gehöften viele Zeichen des Verfalls.
Der Pilgerbrunnen mit der Jakobsmuschel.
Von oben kam ich herab, vom Pilgerbrunnen führt die Straße hinauf; im Rücken liegt San Xil!
Das Grün des Mooses und der Flechten auf den feuchten Steinen der Mauer hatte es mir besonders angetan.
Aufgereiht wie Dominosteine: Die Feldabgrenzungen.
Bis nach Santiago de Compostela hörten die steilen Anstiege nicht auf!
Vorboten des Nebels.
Noch liegt der Weg im Sonnenschein!
Selbstbildnis!
Nun ist die Sonne weg und der Nebel beginnt sein Unwesen zu treiben.
Weit geöffnet das Tor zur galicischen Gespensterwelt!
Ein umgedrehter Zweischar-Pflug, mit dem im Nebel die Phantasie spielen kann.
Die felsigen Wege bieten schon einen Vorgeschmack auf weitere Corredoiras, die zu Regenzeiten nur über Trittsteine zu passieren sind.
Im Herbst ist der Camino nicht überlaufen, Begegnungen mit Weggefährten mit ihrem je eigenem Tempo oder Einheimischen waren eher selten.
Auf diesen alten Dorfverbindungswegen, Corredoiras, gehen fast nur noch die Jakobspilger, die eigentliche Bedeutung wenigstens auf dem Camino bewahrend.
Weiter und weiter führt der Weg durch steinige und neblige Hohlwege.
Wenn ich nicht fotografiert und Tagebuch geschrieben hätte, um den Camino de Galicia ein wenig zu dokumentieren, dann wären die Bilder der Erinnerung dem Ziel geopfert worden, gelbe Pfeile als Wegmarkierungen, Kilometersteine mit der restlichen Strecke nach Santiago de Compostela und der Laufrhythmus bestimmten das Bewußtsein.
Ob es wohl nur Rechtskurven gab?!?
Noch 121 km bis Santiago de Compostela! Bald folgt man blindlings den gelben Pfeilen!
Mit diesem gespenstischen Hohlweg wird der Nebelwald verlassen und langsam rückt Sarria näher.
Es wird noch eine Weile dauern, bis Sonnenstrahlen die Tautropfen zum Verdunsten bringen.
Nach diesem Gullydeckel waren es noch etliche Kilometer, bis der Stempel in die Credencial gedrückt, eine Habitación und eine Comida gefunden waren!
Gasse mit Camino-Pfeil. Der Weg für den nächsten Morgen, den ich, ein wenig gestärkt, am Nachmittag erkunde.
Ein schöner von Platanen beschatteter Platz nahe der Kirche, der Schutz vor der der noch kräftigen Sonne bot. Als ich eineinhalb Wochen später ins regnerische Alemania zurückkehrte, waren die Regale in den Geschäften schon voller Weihnachtsutensilien. Welch ein Kontrastprogramm!
Angesichts der kleinen Christusstatue vollzieht sich der langsame Verfall und Ausverkauf des ländlichen Galicien. Auf einer Bank wartete ich hier auf die Sekretärin der Kirchengemeinde, um meine Credencial abstempeln zu lassen.
Blick von einem Mäuerchen oberhalb der Stadt auf Sarria.
Eine vorsichtige und doch neugierige Eidechse will überlistet werden.
Nun noch ein bißchen!
Da ist sie, Auge in Auge mit der Kamera!
Als ich diese Bilder machte, bei
der Erkundung des Weges für den nächsten Morgen, hatte ich mich
förmlich bergauf gequält und vor dem Gedanken, um halb acht meine
Wäsche aus der Reinigung unten in Sarria holen zu müssen, grauste
mir. Weniger vor dem Weg an der alten Kirchhofsmauer entlang, den man nach dem
Abbiegen nach rechts erreichte, vor einem dicken gelben Balken mit
stadteinwärts gewandten Pfeilen, der die Pilger vor der magischen
Anziehungskraft, den ursprünglichen Weg weiter geradeaus zu gehen, warnen
sollte. Ich ertappte mich selbst dabei, am nächsten Morgen, nun mit neuen
Kräften, den Weg bergauf rasch zurückgelegt, über diese Warnung
' PEREGRINOS NO ' hinwegzustürmen,
dreimal zu gucken, um dann immer noch nicht recht überzeugt, endlich nach
rechts abzubiegen!
Ich hatte ein Zimmer in der Bar Escalimeta in der
Altstadt nahe der Kirche, Dusche und Toilette waren zwar auf der Etage, doch
waren nette Leute dort für ein kleines Schwätzchen in Spanisch, so
konnte ich meine cincuenta palabras in immer neue Reihenfolgen bringen!
Der
Auf- und Abstieg zur und von der hochgelegenen Altstadt schmerzte im ganzen
Körper, doch so schlimm wie das Aufstehen nach der Comida in einem nach
langem Suchen in dem weitläufigen, städtischen Sarria gefundenen
Restaurant, wo ich mich an Tisch und Stuhl festhalten musste in der Furcht,
nicht auf den Beinen bleiben zu können, war es dann nie wieder. Und es war
nicht der vino tinto, an den man sich schnell gewöhnen kann, weil es eine
gute Flasche zu jeder Mahlzeit gab!
Eindrucksvoll war ein Park in Sarria,
den man, aus der Altstadt heruntergestiegen, auf dem Weg ins moderne Zentrum
bald passierte. Eltern und Kinder, alte und junge Leute saßen und
spielten miteinander und es herrschte ein fröhliches Leben und Treiben,
wie man es sich wohl gern auf unseren tristen Spielplätzen wünschen
würde. Ich sprach noch mit Weggefährten darüber, die mir auch
genau diese Beobachtung als eine ihrer Errinnerungen an Sarria
schilderten.
Weitere Etappen